Ganz gleich, ob sie auf natürlichem Wege gezeugt wurden, oder mit Hilfe einer Kinderwunschbehandlung ( z.B. auch Ei- oder Samenspende oder Leihmutterschaft) das Licht der Welt erblickten, im Alter von 20 Jahren macht die Entstehungsgeschichte für junge Erwachsene keinen Unterschied im Hinblick auf ihre psychische Gesundheit oder die Beziehung zu ihrer Familie – das bestätigte eine Langzeitstudie aus England unter der Leitung von Susan Golombok / Universität Cambridge.
Kinderwunschbehandlung
Am 25. Juli 1978 kam mit Louise Brown in England das erste Baby zur Welt, das mit Hilfe ärztlicher Unterstützung im Labor gezeugt worden war. In den letzten Jahrzehnten hat die Kinderwunschmedizin (assistierte Reproduktion, künstliche Befruchtung) zunehmend an Bedeutung gewonnen. Inzwischen sind weltweit rund zehn Millionen Kinder nach einer künstlichen Befruchtung auf die Welt gekommen. Immer häufiger kommt auch eine Samen- oder Eizellspende sowie Leihmutterschaft vor.
Wie geht es den Kindern?
Sind sie psychisch und physisch gesund und wachsen sie genauso auf wie natürlich gezeugte Kinder? Oder haben sie Probleme, die womöglich auf die Behandlung zurückzuführen sind?
Solche Fragen beschäftigen vor allem die Eltern, aber auch den behandelnden Ärzten/innen und Wissenschaftlerinnen liegen sie am Herzen. Immerhin werden durch die Behandlung natürliche Grenzen überschritten, vor allem wenn Ei- oder Samenspenden oder eine Leihmutterschaft gebraucht werden.
Gesundheit
Verschiedene Studien sind diesen Fragen in den letzten Jahren nachgegangen und haben die Gesundheit der Babys und Kinder genau unter die Lupe genommen. Im Wesentlichen konnte dadurch vor allem gezeigt werden, dass Kinderwunschbehandlungen trotz aller notwendigen Hormone und Medikamente sehr sicher sind.
Zwar zeigte sich ein leicht erhöhtes Risiko für Fehlbildungen, es war aber absolut gesehen immer noch extrem niedrig. Andere Gesundheitsprobleme, die beobachtet worden waren, konnten bei genauerem Hinsehen meist auf gesundheitliche Probleme der Eltern zurückgeführt werden. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Eltern, die medizinische Unterstützung für die Zeugung Ihres Kindes brauchen oft entweder selbst unter gesundheitlichen Problemen leiden, oder bereits etwas älter sind, woraus sich dann auch wieder bestimmte Problematiken ergeben können. Darin liegt auch eine naheliegende Erklärung dafür, dass das Risiko für Diabetes und kardiovaskuläre Probleme bei Kindern aus Kinderwunschmedizin leicht erhöht ist gegenüber spontan empfangenen Altersgenossen.
Auch was die kognitive Entwicklung der Kinder anbelangt, so konnten Forscher keine Unterschiede zu Altersgenossen feststellen. Ihre schulischen Leistungen standen denen anderer in nichts nach.
Psychische Gesundheit und Familienleben
Gerade, wenn sie über eine Eizell- oder Samenspende nachdenken, machen sich viele potentielle Eltern große Gedanken, wie sich ein solcher Schritt auf ihre spätere Bindung zu den Kindern und der Stabilität Ihrer Wunschfamilie auswirken könnte. Sie fragen sich auch, wie das Kind damit umgehen wird, wenn es von der besonderen Entstehungsgeschichte erfährt.
Für alle Eltern mit Kindern aus Eizell- oder Samenspende oder Leihmutterschaft wird daher eine neue Langzeitstudie aus England extrem interessant und gleichzeitig beruhigend sein.
Die Langzeitstudie unter der Leitung von Susan Golombok von der Universität Cambridge befragte Jugendliche und junge Erwachsene aus künstlicher Befruchtung nach ihrer familiären Situation und ihrem Umgang mit ihrer Entstehungsgeschichte von der frühen Kindheit bis zur Adoleszenz. An der Studie nahmen 65 Familien mit Kindern, die durch künstliche Befruchtung geboren wurden – 22 durch Leihmutterschaft, 17 durch Eizellenspende und 26 durch Samenspende – teil. Die Familien wurden über 20 Jahre hinweg vom Säuglingsalter bis ins junge Erwachsenenalter begleitet.
Dabei zeigte sich, dass es im Alter von 20 Jahren keinen Unterschied zwischen Kindern, die durch künstliche Befruchtung, und Kindern, die auf natürlichem Wege gezeugt wurden, in Bezug auf das psychische Wohlbefinden oder die Qualität der Familienbeziehungen gab.
Liebe ist wichtiger als Biologie
Offensichtlich ist die Situation damit eine grundlegend andere als in Familien, die Kinder beispielsweise adoptiert haben. Die Autoren der Studie führen das vor allem darauf zurück, dass Kinder, die durch eine Kinderwunschbehandlung das Licht der Welt erblickt haben, von Geburt an von Eltern aufgezogen werden, die sie gewollt haben und die sie als ihre eigenen Kinder annehmen. Sie haben keine anderen ambivalenten und schwierigen Situationen erlebt als natürlich gezeugte Kinder, sind nicht von Bezugspersonen getrennt worden, sondern waren von Anfang an gewünscht und willkommen. Die biologische Verwandtschaft ist für das Wohlergehen damit weit weniger wichtig als eine innige und sichere Bindung zwischen Eltern und Kindern: es zählt die Liebe, nicht die Gene ❤
Kommunikation
Eine kleine Einschränkung wurde bei Familien mit durch Samenspende gezeugten Kindern festgestellt. Junge Erwachsene, die durch Samenspende gezeugt wurden, berichteten über eine schlechtere familiäre Kommunikation als diejenigen, die durch Eizellspende gezeugt wurden. Nach Ansicht der Autoren könnte dies durch die größere Geheimhaltung im Zusammenhang mit Samenspenden im Vergleich zu Eizellspenden erklärt werden, die teilweise darauf zurückzuführen ist, dass Väter zögerlicher als Mütter sind, ihrem Kind mitzuteilen, dass sie nicht sein genetischer Elternteil sind, und auch zögerlicher sind, darüber zu sprechen, wenn sie es einmal mitgeteilt haben. Tatsächlich stellten die Forscher fest, dass nur 42 % der Eltern von Samenspendern bis zum Alter von 20 Jahren darüber sprachen, verglichen mit 88 % der Eltern von Eizellspendern und 100 % der Eltern von Leihmüttern.
Frühe Aufklärung
Die Studie zeigt also eindrücklich, dass es für Kinder zwar unerheblich ist, ob sie eine biologische (genetische) Verbindung zu einem Elternteil haben oder nicht. Jedoch macht es einen großen Unterschied ob, wann und wie das Thema in der Familie besprochen wird. So scheint es immens wichtig zu sein, die Kinder altersgerecht möglichst frühzeitig über ihre besondere Entstehungsgeschichte aufzuklären. Geschieht dies erst, wenn die Kinder älter als 7 Jahre alt sind, so steigt das Risiko für problematische Eltern/Kind Beziehungen und Mütter haben häufiger mit Ängsten und Depressionen zu kämpfen. Nur 7 % der Mütter, die ihre Kinder bis zum Alter von 7 Jahren aufgeklärt haben, berichten über Probleme in den Familienbeziehungen, gegenüber 22 % der Mütter, die diese Unterhaltung erst nach dem Alter von 7 Jahren geführt haben.
Quellenangaben
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